»LIMONOW«


von
Emmanuel Carrère



Die unautorisierte Webseite zum Buch.
Von den Machern von Limonow.de

zurück

Emmanuel Carrère: Limonow

Claudine Borries

Politik und Abenteuer,— eine gekonnte Analyse.

Das Russland der letzten achtzig Jahre war unter Stalin von krassen politischen Unwägbarkeiten gezeichnet und zeigte nach seinem Tod politische Umbrüche, die immense Anforderungen an alle jene stellten, die in dem System überleben wollten.

Eduard Sawenko war einer dieser Lebenskünstler. Er wurde 1942 geboren. Als Sohn eines KGB Offiziers und einer Historikerin wuchs er in der ukrainischen Stadt Charkow auf. Aus dem eher verschreckten und ängstlichen Kind wurde ein Heranwachsender, den seine eigene Unbedeutendheit kränkte, so dass er sich früh in Künstlerkreise Eingang verschaffte. Aus einer Laune heraus wechseln die Mitglieder dieser Künstlergemeinschaft eines Tages ihre Namen. Eduard nennt sich beziehungsreich Ed Limonow in Anlehnung an Zitrone und Handgranate. Er lebte seit Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Moskau, wo er sich als Arbeiter und Schneider verdingte. Erst später entdeckte er seine schriftstellerischen Fähigkeiten.

Mit feinem Gespür für die jeweiligen turbulenten politischen Absurditäten im Sowjetsystem weiß Limonow die Gunst der Stunde für sich zu nutzen. Von Charkow und einer eher unansehnlichen Geliebten, mit der er es immerhin sieben Jahre lang ausgehalten hat, findet er in Moskau die richtigen Leute und ergeht sich in einer neuen Liebe, während er die alte nach Charkow abschiebt. Immer auf der Suche nach Abenteuern findet er Menschen, die ihm bei seiner Suche behilflich sind. 1974 wurde er aus Russland ausgewiesen und lebte fortan in New York. Von dort geht es über Frankreich nach der Perestroika zurück nach Russland.

Emmanuel Carrère ist ein begabter Erzähler, der hier als Icherzähler fungiert. Limonow ist sein kumpelhaftes Gegenüber. Mit seinen kritischen Anmerkungen versehen erlebt man das zerrissene Russland mit den nach Stalins Tod wechselnden politischen Systemen, der Korruption, dem Beziehungsklüngel und der Fantasiewelt, in die sich der eine oder andere flüchtet. Limonow schlägt sich wacker durch, immer auf der richtigen Seite und doch auch gegen sie. Seine politische Haltung wechselte von links bis rechts. Mehrfach saß er im Gefängnis und kämpfte in Jugoslawienkrieg auf der Seite des Kriegsverbrechers Karadzic. Überall lebte er sein vitales und an Abenteuern und verrücktem Liebesleben reiches Dasein.

Sehr konzentriert geht Carrère seine Romanbiographie über den wirklichen Limonow an. Er kennt die Namen einflussreicher Künstler und die Mitglieder dieser Gesellschaft aus Hasardeuren, Angebern, Erfolgreichen und Verfolgten. Man taucht tief ein in das russische Gesellschaftssystem, das zwischen Verfolgung und Bewunderung für den rasanten Lebenskünstler Limonow mit seinen wilden Exzesse und Allüren schwankt.

Carrère endet seine Romanbiographie über Limonow mit der Vision eines friedlichen Lebens mit sicherer Rente und Wohlleben für den aufrührerischen Dichter. Dieser jedoch zöge wohl eher das anonyme, entbehrungsreiche Leben in Zentralasien einem friedlichen Leben in einem schönen Park vor.

Carrère behandelt eine Vielzahl von Erlebnissen, rasanten Perspektivwechseln und immer neuen Lebenseinsichten des russischen Dichters. Man steht verwirrt und ratlos vor dieser Romanbiographie mit überreichen Eindrücken. Ein großartiges und wildes Leben hat in Emmanuel Carrère seinen ausgezeichneten Biographen gefunden.


«Buchvergleich.de», 4. März 2015

Eduard Limonow

Original:

Claudine Borries

Emmanuel Carrère: Limonow

// «Buchvergleich» (.de),
4. März 2015