»LIMONOW«


von
Emmanuel Carrère



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Carrère, Emmanuel: Limonow

Andreas Wirthensohn

Der französische Autor Emmanuel Carrère zeichnet das Leben von Wenjaminowitsch Limonow nach — eines Provokateurs und Punk-Autors aus Russland.

What a man! Eduard Weniaminowitsch Limonow ist so ziemlich alles, was bei uns im gemäßigten Mitteleuropa verpönt ist: politisches Irrlicht, Dandy, Punk-Autor, sexbesessen, kriegsbegeistert. Der 1943 in der Sowjetunion geborene Schriftsteller und Anführer der nationalbolschewistischen Opposition in Russland ist einer, dessen Nähe man tunlichst meiden sollte, wenn man nicht in ein schiefes Licht geraten will.

Wer möchte schon mit einem Menschen zu tun haben, der sich dabei filmen ließ, wie er bei der Belagerung Sarajewos zusammen mit Radovan Karadžić eine Salve auf die Stadt abfeuert; der Stalin und Mussolini für zu Unrecht diskreditierte Staatsmänner hält; der gegen Kaukasier hetzt und von einem eurasischen Großreich träumt!?

Dabei könnte alles auch ganz anders sein: 1974 wurde der Avantgarde-Lyriker als Dissident ausgewiesen und ging in die USA. In den 1980er Jahren zählte er in Frankreich zu den wichtigsten Intellektuellen. In den 1990er Jahren wurde er als Autor auch in seiner Heimat entdeckt, seine Bücher verkauften sich hunderttausendfach. Und in seinem Kampf gegen Putin einte ihn vieles mit der ermordeten Journalisten-Ikone Anna Politkowskaja. Doch bevor Limonow irgend jemandes lieb Kind werden konnte, vollführte er stets eine Kehrtwendung.

In den USA empfand er die dortige Situation schon bald als ebenso repressiv wie in der UdSSR und wurde zum Stalinverehrer. Als in Frankreich gefeierter Autor zog er auf Seiten der Serben in den Krieg gegen Kroaten und Bosnier. Und als Oppositioneller in Putins Russland suchte er sein Heil nicht bei westlichen Werten, sondern in nationalistischen Großmachtphantasien.

Wenn man will, kann man diesen Limonow also durchaus als veritablen Kotzbrocken, als Faschisten, als egozentrisches Ekel bezeichnen. Und doch liest man Emmanuel Carrères Romanbiografie dieses Mannes seltsam fasziniert und gefesselt. Denn Carrère schafft es auf grandiose Weise, dieses irrwitzige und irrlichternde Leben nachzuzeichnen und dem Biografierten so nahe zu kommen, dass dessen persona uns im wahrsten Sinne des Wortes berührt. Dabei verklärt Carrère Limonow, den er seit den 1980er Jahren aus Paris kennt und dem er 2006 plötzlich in Moskau auf einer Anti-Putin-Demonstra— tion wieder begegnet, keineswegs.

Aber er betrachtet ihn nicht primär unter politisch-ideologischen Gesichtspunkten, sondern als Mensch: als liebes— und sexbesessenen Dichter, der, als eine dieser amours fous zu Ende ist, vorübergehend Trost bei Homosexuellen sucht; als Mann mit einigem Stehvermögen, der mehrmals in seinem Leben ganz unten ankommt und jedes Mal wieder neu anfängt; als Provokateur und Freigeist, der sich nicht zu schade ist, Hosen zu schneidern oder als Diener eines reichen Amerikaners zu arbeiten. Es ist die Unbedingtheit, die anarchische Intensität dieses Lebens, die uns in ihren Bann schlägt.

Carrères Buch, das in Frankreich einige bedeutende Literaturpreise erhielt, verzichtet bewusst auf jede Gattungsbezeichnung. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen, und doch ist nichts Buch erfunden. «Fiktiv» ist allenfalls die Nähe, die Carrère zu seinem Gegenstand herstellt, die Eindringlichkeit, mit der er von Begebenheiten erzählt, die er nur vom Hörensagen oder aus den Schriften Limonows kennen kann. Vor allem aber ist dieses Buch mehr als eine Biographie.

«Mir schien, sein romanhaftes, gefährliches Leben erzähle etwas. Nicht nur über ihn, Limonow, und nicht nur über Russland, sondern über unser aller Geschichte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Etwas ja, aber was? Ich beginne dieses Buch, um es zu begreifen». Schreiben als Suchbewegung, als historische Tiefenbohrung — selten wurde uns diese Spielart von Literatur spannender, eindringlicher präsentiert als in diesem Buch, das in gleichem Maße als Solitär erscheint wie sein Gegenstand (und im Übrigen von Claudia Hamm ganz vorzüglich übersetzt wurde).

Als der Autor Limonow beim Abschied fragt, wie er sich denn seinen Lebensabend vorstelle, ob er denn nicht gerne als Turgenjew’scher Held auf einem Landgut enden wolle, lacht dieser nur und erzählt von den alten, ausgemergelten Bettlern in Zentralasien. «Man weiß nicht, wie ihr Leben ausgesehen hat, aber man weiß, dass sie in einem Sammelgrab enden werden. Sie haben kein Alter mehr und keinen Besitz, sofern sie je welchen hatten, es bleibt ihnen kaum noch ihr Name. Es sind Wracks. Es sind Könige». So zu enden, das würde ihm gefallen. Und auch irgendwie passen zu diesem seltsam eindrücklichen Leben.


«Wiener Zeitung», 25. Januar 2013

Eduard Limonow

Original:

Andreas Wirthensohn

Carrère, Emmanuel: Limonow

// «Wiener Zeitung» (at),
25.01.2013