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Das kommt nicht oft vor: Dass man von einem Buch gebannt wird und sich nicht losreißen kann, in dem von einem Kerl erzählt wird, der einen nicht die Bohne interessiert. Nicht das ausschweifende und krawallige Leben des ukrainischen Provinz-Ganoven und politischen Ekelpakets Eduard Limonow in seinen Rösselsprüngen zwischen Linksradikalismus und Rechtsextremismus, zwischen Schreiben, Kriegführen, Krakeelen, Posieren und Gefängnis ist das Faszinosum der Biografie «Limonow» von Emmanuel Carrère (Verlag Matthes & Seitz, 2012); vielmehr behext einen die selbstkritische Intelligenz des Autors. Mit federleichter Eleganz überprüft Carrère an seinen eigenen Reaktionen auf Limonow zugleich die politischen und intellektuellen Anfälligkeiten der Pariser Kaviar-Linken. Im Schreiben dieses Buches befreit er sich von den blinden Flecken einer nach links und rechts kokettierenden französischen Politschickeria — bis hin zur Auflösung solcher Begrifflichkeiten, die beim Betrachten der Exzesse im heutigen Russland ohnehin nicht weiterhelfen. Emmanuel Carrère tut Limonow nicht einfach als amoralischen, skandalsüchtigen Dreckskerl und Desperado ab; bei allem faszinierten Widerwillen gegen seinen Titelhelden macht er sich die Mühe, diese drastische Karriere vor dem Hintergrund der politischen Umstürze und radikalen Wertewechsel im Russland der letzten fünfzig Jahre als möglicherweise exemplarisch zu entziffern.
«Süddeutsche Zeitung», 19. Dezember 2012