»LIMONOW«


von
Emmanuel Carrère



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Der Ekel der Bewunderung

Thomas Hummitzsch

Einen der spannendsten und radikalsten Protagonisten in diesem Bücherherbst begegnet man in Emmanuel Carrères Limonow (Verlag Matthes & Seitz 2012, 414 Seiten, 24,90 Euro), einer fiktiv angereicherten Biografie des russischen Nationalbolschewisten und Schriftstellers Eduard (Sawenko) Limonow. Auf dem Titel des Buches leuchtet die Limonka, das Symbol der russischen nationalbolschewistischen Partei, die vielmehr Sinnbild ihres Gründers als der Partei bzw. deren Hauspostille ist, für die sie steht. Denn Eduard Limonow ist einer der umstrittensten Köpfe des 20. Jahrhunderts. Zu Zeiten des Kalten Kriegs wegen Dissidententum aus der Sowjetunion ausgewiesen, machte er sich in den USA wegen seiner antikapitalistischen Positionen unbeliebt und wanderte schließlich nach Frankreich aus, wo er als linkspolitischer Intellektueller Berühmtheit erlangte. Unter anderem sein amerikakritischer Roman Fuck off, Amerika und seine Memoiren eines russischen Punks führten dazu, dass Limonow auf dem Höhepunkt von Glasnost vom Cosmopolitan-Magazin zu einem der 40 wichtigsten Intellektuellen gezählt wurde. Und wie es sich für einen radikalen Intellektuellen geziemt, säumen zahlreiche Affären und Sex-Abenteuer seinen Weg. Er könnte als Putin-Gegner auch der intellektuelle Vorreiter der Aktivistinnen von Pussy Riot oder Femen sein, die von westlichen Medien bewundert und als aktionistische Speerspitze des Liberalismus gefeiert werden, zugleich aber nicht unumstritten sind.

Aber Eduard Limonow vereint in seiner Person einiges mehr, um einfach nur umstritten zu sein. Carrère macht mit seinem Porträt dieses politischen Radikalen deutlich, dass dessen Abgründe tiefer sind, als man sich vorstellen kann. Limonow ist kein Peter Handke mit seinen proserbischen Pamphleten, sondern ein schreibender Krieger, der sich dabei filmen ließ, wie er neben dem Kriegsverbrecher Radovan Karadžić am Beschuss von Sarajewo teilnahm. Er ist auch kein Garri Kasparow — auch wenn er schon gemeinsam mit dem ehemaligen Schachweltmeister gegen das Putin-Regime demonstrierte — der ein demokratischeres Russland will, sondern ein stalinistischer Politaktivist, der sich für das Gulag-System aussprach. Deshalb saß er wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung auch einige Jahre im russischen Knast. Limonows Leben ist das eines irren Abenteuers, vergleichbar vielleicht mit Melvilles Kapitän Ahab. Wie der besessene Wahljäger vereint er blinde Wut und absoluten Existenzialismus, Radikalität und Ehrgeiz, Selbstverliebtheit und wirre Solidarität, Halunken- und Heldentum.

Wie geht man mit so einem wie Eduard Limonow um? Wie behandelt man diesen unbändigen, irren aber auch irgendwie das leben genießenden Irren. Carrère hat für seine Limonow-Biografie einen reportagehaften Stil mit Kommentaren aus dem Off gewählt, um einerseits die Zwiespältigkeit des Porträtierten nüchtern zu veranschaulichen und um andererseits das Unbehagen des Biografen im Umgang mit diesem schillernd-explosiven Mann zu spiegeln. Carrère verwebt dieses viel zu volle «Scheißleben» (Limonow über Limonow) mit der eigenen Vita und verleiht auf diese Weise sowohl seiner Bewunderung als auch seiner Dankbarkeit, von einer solch destruktiv-existenzialistischen Lebensenergie verschont worden zu sein, Ausdruck.


«Diesseits», 19. Dezember 2012

Eduard Limonow

Original:

Thomas Hummitzsch

Der Ekel der Bewunderung

// «Diesseits» (de),
19.12.2012