Bürger und Rebell
Sex und Drogen. Krieg und Politik. Zu allem Überfluss auch noch Literatur. Es ist ein Leben wie im Roman, aber Eduard Limonow gibt es wirklich. Als Eduard Weniaminowitsch Sawenko während des zweiten Weltkriegs im sowjetischen Dserschinsk geboren, wächst er in Charkow auf und schlägt sich zunächst als Kleinkrimineller durch. Schnell kommt er mit dem literarischen Untergrund in Berührung und sieht im Schreiben seine Chance auf den Durchbruch, auf Anerkennung, Erfolg und nicht zuletzt auch auf das große Geld. Er wählt den Künstlernamen Limonow, der sowohl auf das russische Wort für Limone als auch auf den Spitznamen der sowjetischen Handgranate F-1 verweist. Und zumindest die Anerkennung ist ihm vergönnt, denn schnell wird der Avantgarde-Lyriker Limonow zum Geheimtip und Mittelpunkt der Charkower Bohème. Das Nötigste zum Überleben verdient der Dandy unterdessen mit dem Schneidern von Hosen.
Daran ändert sich auch nach dem Umzug nach Moskau zunächst nichts. Erst in den USA beginnt für Eduard Limonow ein neues Leben, aber nicht unbedingt ein besseres. Die dortige Intellektuellenszene feiert Solschenizyn und Brodski als aufrechte Dissidenten, hingegen will sie von dem jungen Limonow, der von Stalin schwärmt und Chruschtschow verdammt, nichts wissen. Desillusioniert, abgebrannt und von seiner Frau verlassen verdingt Limonow sich als Butler eines Millionärs, wovon er später in dem Roman »Die Geschichte seines Dieners« erzählen wird. Doch zum gefeierten Enfant terrible der russischen Exilliteratur wird er mit einem anderen Text. Der stark autobiographisch grundierte Debütroman »It‘s me, Eddie« erscheint 1980 zunächst in Frankreich unter dem viel sagenden Titel »Le Poète russe préfère les grands nègres« — »Ein russischer Dichter bevorzugt große Neger«.
Dass aus dem Leben wie im Roman nun tatsächlich ein Roman wurde, verdanken wir dem französische Autor und Filmproduzenten Emmanuel Carrère, der Anfang der Achtziger Jahre just durch die Lektüre von »Le Poète russe préfère les grands nègres«, versehen mit der handschriftlichen Widmung »vom Johnny Rotten der Literatur«, erstmals auf Eduard Limonow aufmerksam wird. Und wie so viele andere ist auch Carrère überwältigt von der schonungslosen Offenheit und Direktheit, mit der Limonow die Abgründe seines Leben in Romanform darlegt.
Limonow war kein fiktionaler Autor, er konnte nur von seinem Leben erzählen, aber sein Leben war faszinierend, und er erzählte gut davon, in einem einfachen, plastischen Stil ohne literarisches Getue und mit der Energie eines russischen Jack London.
Oszillierend zwischen wütender Anklage und obszönen, ja pornographischen Beschreibungen macht der Roman »Le Poète russe préfère les grands nègres«, der in der deutschen Übersetzung den Titel »Fuck off, Amerika« trägt, den zuvor unbekannten Autor in Frankreich mit einem Mal zu einer festen Größe im Milieu der jungen und wilden Intellektuellen, wohingegen ihm die Verlagswelt und auch die etablierte Kulturszene mit Skepsis begegnen. Mehr noch als die folgenden Romane soll aber die Erscheinung des leibhaftigen Verfassers selbst den Ruf als Provokateur und Rebell festigen.
Er liebte die Prügeleien und hatte einen unglaublichen Erfolg bei Frauen. Die Freiheit seines ganzen Auftretens und seine abenteuerliche Vergangenheit imponierten uns jungen Bürgerlichen. Limonow war unser Barbar, unser Gauner: Wir verehrten ihn.
Mitreißend und lebendig erzählt Carrère in »Limonow« vom Leben seines Helden, seinen zahlreichen Höhen und Tiefen. Das führt ihn von Paris wieder zurück nach Moskau, wo Limonow die katastrophalen Auswirkungen von Perestroika und Glasnost aus nächster Nähe miterlebt, die Russland den Oligarchen ausliefern und weite Teile der Bevölkerung verarmen lassen. Ohne zu zögern schließt er sich der Opposition gegen Gorbatschow an und unterstützte den Augustputsch 1991 in Moskau. Nach dessen Scheitern gründet er die inzwischen verbotene Nationalbolschewistische Partei Russlands, die nicht von ungefähr auf Inhalte und Motivik des Faschismus zurückgreift. Das Parteimagazin der NBP trägt den Namen »Limonka«, das Logo der Partei orientiert sich an der Hakenkreuzfahne Nazideutschlands, ersetzt aber das Hakenkreuz durch Hammer und Sichel.
»Limonow« erzählt aber die Geschichte zweier Leben, denn in Eduard Limonows Eskapaden spiegelt sich gleichsam die bürgerliche Biographie des Verfassers. Geschickt lässt Carrère Episoden seines eigenen Lebens in die Darstellung einfließen, als Mittel des Kontrasts und der Differenzierung. Hier der Rebell, der über die Jahre vom extremen Linken zum extremen Rechten mutiert, immer in größtmöglicher Distanz zum Mainstream, dort der angepasste Liberale, der sich jedoch der Faszination seines Beschreibungsobjekts niemals ganz entziehen kann. Selbst dann nicht, wenn Limonow Seite an Seite mit Radovan Karadžić im Bosnienkrieg auf das belagerte Sarajevo feuert, was sogar als Video dokumentiert ist.
Zurück in Russland wird Limonow zu einem der wortgewaltigsten Oppositionsführer gegen den neuen Kurs. Erst attackiert er die Politik Jelzins, anschließend nimmt er sich dessen Nachfolger Putin vor. Zwischendrin vertreibt er sich die Zeit mit seiner minderjährigen Freundin und wird für die überwiegend jungen Männer, aus denen sich die NBP rekrutiert, gleichermaßen zu einer Art Vorbild und Vaterfigur. Er verbringt mehrere Jahre im Gefängnis, verurteilt wegen illegalem Waffenbesitz und Bildung einer bewaffneten Organisation. All das beschreibt Carrère nicht unkritisch, aber er versagt sich voreiliger moralischer Verurteilungen. »Limonow« erweckt nicht unbedingt Sympathien für Eduard Limonow, doch überträgt sich die die Faszination des Autors auch auf den Leser, der staunend und gebannt dem tragischen Verlauf dieses »Scheißlebens« (Limonow über Limonow) folgt.
«Octopus-magazin», 22. Oktober 2012