»LIMONOW«


von
Emmanuel Carrère



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Im Zweifel dagegen

Uli Hufen

Der französische Autor und Filmemacher Emmanuel Carrère hat eine der schillerndsten Gestalten Russlands porträtiert: Eduard Limonow. Geboren 1943, nach wilder Jugend wilde Jahre in Moskaus Underground. 1974 der Rauswurf in die USA. Kultstatus erreicht er mit seinen Romanen, umstritten bleiben seine politischen Aktivitäten.

Der französische Schriftsteller und Filmemacher Emmanuel Carrère und der russische Schriftsteller Eduard Limonow begegneten sich zuerst zu Beginn der 80er-Jahre in Paris. Limonow war 1974 aus der Sowjetunion in die USA emigriert. Seit 1980 lebte er in Paris. Carrère erinnert sich:

«In den 80er-Jahren habe ich seine Sachen gelesen und ich traf ihn manchmal bei Partys. Ich mochte ihn, ich bewunderte ihn als Schriftsteller, ich war beeindruckt von seinem abenteuerlichen Leben. Ich war ja viel schüchterner als er.»

Was den schüchternen Carrère an Limonow beeindruckte, fasste Limonow selbst so zusammen:

«Ich liebe den Irrsinn. Mein ganzes Leben beweist das. Ich kultiviere nicht die Logik, sondern die Ekstase. Meine morbiden Empfindungen verschaffen mir Freude.»

Limonow und Carrère tranken gelegentlich ein Glas zusammen, Carrère interviewte Limonow, dann verlor man sich aus den Augen.

Carrère: «Als ich ihn 20 Jahre später wieder traf, hatte er in Serbien gekämpft mit Leuten wie Karadzic und Arkan, er hatte die seltsame Nationalbolschewistische Partei gegründet. Wenn er in Frankreich überhaupt noch einen Ruf hatte, dann war es ein sehr schlechter.»

Carrère war 2007 nach Moskau gereist, um eine Reportage über Limonow zu schreiben. Doch es dauerte nicht lange und Carrère verstand, dass Limonows schlechter Ruf im Westen nicht unverdient und doch ein Missverständnis war. Sein Leben bot Stoff für mehr als eine Reportage.

Carrère: «Er war jetzt einer der wenigen Oppositionsführer in Russland und er war im Gefängnis gewesen kurz nach Putins Machtantritt. Und ich war überrascht, dass einige der mutigsten Leute in Russland, Leute wie Anna Politkowskaja oder Andrej Sacharows Witwe Elena Bonner sagten: «Er hat komische Seiten, aber er ist mutig. Die Skinheads in seiner Partei, unsere Töchter müssen sie nicht unbedingt heiraten, aber sie sind die einzigen, die nicht hörig und fatalistisch sind. Sie kämpfen und leisten Widerstand.»»

Das Ergebnis von Carrères Recherchen trägt den kurzen Titel «Limonow», ist eine faszinierende Mischung von Roman und Biografie und nebenbei eins der klügsten nicht-wissenschaftlichen Bücher über Russland, das hierzulande seit langer Zeit veröffentlicht wurde. Dass es außerdem hoch unterhaltsam ist, versteht sich angesichts des pikaresken Lebens, das Eduard Limonow bis heute führt, beinahe von selbst.

Limonow wurde 1943 als Eduard Sawenko geboren und verbrachte seine Jugend in der ukrainischen Industriestadt Charkow. Erst als kleinkrimineller Halbstarker in einem Vorort, dann in Charkows Dichter-Boheme. Ende der 60er-Jahre zog Limonow nach Moskau und erwarb sich im Underground der Metropole schnell einen klingenden Namen. Als Dichter, als Liebhaber und als Schneider. 1974 werden Limonow und seine Frau Jelena zur Ausreise gezwungen und gehen nach New York. Hier interessiert sich niemand für das glamouröse Paar. Anfang 1976 ist Limonow ein Schriftsteller ohne Verlag, ein Journalist ohne Publikationsmöglichkeit und ein Mann ohne Geld. Als ihn seine Frau Jelena verlässt, ist er am Boden. Und was tut Limonow? Er zieht durch die Stadt, zu Fuß, Tag und Nacht, er ist verzweifelt, er sehnt sich nach Liebe und einer großen Idee, er trinkt, er nimmt Drogen, er debattiert mit Russen und Amerikanern, er schläft mit Männern und er schläft mit Frauen. Und dann setzt er sich hin, und schreibt einen großen Roman, der von all dem handelt.

«Ich bin zu allem bereit, Leute, ich bin willens, etwas zu leisten, eine ruhmreiche Tat zu vollbringen. Oder zu sterben. Aber was rede ich da in der Gegenwart. Ich habe mich doch schon 30 Jahre lang darum bemüht. Und ich werde es schaffen. Tränen der Angst laufen mir aus den Augen, und es ist immer noch dieselbe Angst wie zu Hause, nur dass es jetzt die Madison-Avenue ist, die da unten verschwimmt. 'Ich mach euch alle zur Sau, ihr Scheißer, ihr Hunde!' sage ich und wische mir mit der Faust die Tränen ab.»

Es dauert drei Jahre, bis Limonows Buch erscheint. Im Original heißt es schlicht «Ich bin's, Eddy!» Der Titel sagt, worin es Limonow geht: um sich selbst. Auf Deutsch bekommt das Buch den entsetzlichen Titel «Fuck off, Amerika!», auf Französisch heißt es: «Der russische Dichter bevorzugt große Neger». Besonders in Frankreich liebt man Limonows romantisches Heldentum und die brutale Kritik an Amerika. Limonow sagt «Lass uns diese Zivilisation erstmal von Grund auf zerstören, das ist schon schwer genug», und wird als eine Mischung aus Jean Genet und Charles Bukowski gelesen und verehrt. Auf «Ich bin's, Eddy!» folgen weitere Bücher über seine Zeit in Amerika, darunter das phänomenale «Tagebuch eines Verlierers», und eine Trilogie über seine Jugend in Charkow.

In Russland erscheint «Ich bin's, Eddy!» erst 1989 und erlebt Millionenauflagen. Doch die prowestliche liberale Intelligenzija ist geschockt. Von Limonows Exzessen, von seinem Vokabular und vor allem von der Behauptung, die westliche Zivilisation sei genau so unfrei und verworfen wie die sowjetische. Limonow setzte sich mitten im Kalten Krieg zielsicher zwischen alle Stühle und gilt in Russland seither als Paria.

Dann, zu Beginn der 90er-Jahre, zerstört ein Dokumentarfilm Limonows Karriere im Westen. In seinem Film «Serbisches Epos» zeigt der polnische Regisseur Pawel Pawlikowski, wie Limonow in den Bergen rund um Sarajevo mit Radowan Karadjic plaudert, sich serbische Stellungen zeigen lässt und schließlich selbst aus einem Maschinengewehr feuert.

Carrère: «Diese drei Minuten haben seine Reputation ruiniert. Er galt als witziger, sexy Abenteurer. Dann war er ein Kriegsverbrecher. Und was mich abgestoßen hat an der Szene ist nicht, dass er es getan hat, sondern dass es so lächerlich wirkte. Er wirkte wie ein kleiner Junge, der Gangster spielt.»

Es sind gerade die Passagen über Limonows Verwicklung in die Balkankriege der frühen 90er-Jahre, die zeigen, was für ein geschickter und kluger Autor Emmanuel Carrère ist. Carrère lässt nie einen Zweifel daran, dass er Limonows Sicht auf die Kriege für falsch und verwerflich hält. Trotzdem zeigt er, dass Limonow bei allem rhetorischen Bravado nur ein unbedeutendes Rad in der Mechanik der post-jugoslawischen Zerstörungsmaschine war. Und er beschreibt Limonows Motivation. Nicht um zu rechtfertigen, sondern um zu verstehen:

«Es passiert in einem Moment, wo Limonow relativ erfolgreich wurde und komfortabel leben konnte, komfortabler als je zuvor. Er fragte sich: Was ist meine Zukunft? Und die Antwort war: ein Schriftsteller, der alle ein oder zwei Jahre ein Buch veröffentlicht, neue Leser gewinnt, Interviews gibt. Meine Sorte Leben! Aber ihm gefällt das nicht, er will ein Revolutionär sein, ein Krieger. Und in diesem Moment begannen die Balkankriege. Und das gesamte respektable, demokratische, bürgerliche Paris war komplett aufseiten der Bosnier, meiner Meinung nach zu Recht. Aber Limonow ist instinktiv immer aufseiten der Bösewichter, der Leute, die alle gegen sich haben. Also musste er aufseiten der Serben sein.»

Während der Westen ihn seit Sarajevo als faschistoiden Irren abstempelte und fast 15 Jahre lang nicht mehr publizierte, kehrte Limonow nach Moskau zurück und gründete die Nationalbolschewistische Partei NBP. Wegen ihrer martialischen Symbolik und Slogans lange als gefährlicher Hitler-Jugend-Verschnitt missverstanden, war Limonows Partei in Wahrheit über viele Jahre die einzige nennenswerte Oppositionsbewegung in Russland. Bis heute sitzen viele ihrer Mitglieder wegen friedlicher Anti-Regierungsaktionen Haftstrafen ab. Lange vor Pussy Riot und ohne dass sich im Westen irgendjemand dafür interessieren würde. Carrère:

«Das war eine Punk-Attitüde. Und seine Partei ist eine Punk-Partei. Politisch kann man das nicht so ernst nehmen. Limonow ist auch kein politischer Denker, wenn überhaupt, dann ein sehr schlechter und verwirrter.»

Von 2001 bis 2003 sitzt Limonow selbst in Haft, seine Partei wird verboten. Doch Limonow ist ein Typ, der an den Umständen wächst. Im Gefängnis lernt er zu meditieren. Er genießt bei Aufsehern und Gefangenen höchsten Respekt und er schreibt die besten Bücher seit Jahren, allen voran: «Das Buch des Wassers.» Nach seiner Entlassung schmiedet er eine Anti-Putin-Allianz mit liberalen Oppositionellen wie Garri Kasparow und Boris Nemtsow. Gemeinsam kämpft man auf verlorenem Posten: Die meisten Moskauer sind zufrieden mit der Putin-Ära und erfreuen sich an wachsenden Löhnen, Auslandsreisen und iPhones. Ende 2011 ändert sich das, in Moskau demonstrieren plötzlich Hunderttausende gegen Putin. Und Limonow bleibt sich treu: Er überwirft sich mit der liberalen Opposition, der er Feigheit, Dummheit und Verrat vorwirft. Und so scheint es im Herbst 2012, als sei der Moment für eine neue Inkarnation gekommen. Carrère:

«Er ist fast 70 und in sehr guter Verfassung. Was er ganz bestimmt nicht will, ist ein geruhsames Alter. Das interessiert ihn nicht. Er würde sicher gern erschossen werden, so was in der Art. Ich denke, er könnte eine Art Guru in Zentralasien werden. Mit Bart, mit jungen Leuten, die ihm total ergeben sind. Vielleicht eine Art kriminelle Sekte. Das würde ihm gefallen. Oder er wird ein wirklich weiser alter Mann. Limonow hat noch immer großes Potenzial!»

«Dradio.de», 18. Oktober 2012

Eduard Limonow

Original:

Uli Hufen

Im Zweifel dagegen

// «Dradio» (de),
18.10.2012